Wege zur Botschaft der Bibel 3

Bibel und die Ikonen
Ein Weg, sich mit der Botschaft der Bibel auseinanderzusetzen, ist der über die Kunst. Unter den vielen Möglichkeiten, die es dazu gibt ist der Weg, den die Ikonen der Ostkirche gehen, besonders nahe. Das griechische Wort „eikon“ bedeutet „Bild“. Eine Ikone ist somit „das Bild“, wie die Bibel „das Buch“ (biblia) ist. Wenn Bilder „Ikonen“ genannt werden besagt dies, dass auch innerhalb der religiösen Welt herausgehoben sind. Eine Ahnung davon ist in unseren Alltag hinübergeschwappt. Wir sprechen im Sport oder in der Popmusik von Ikonen und meinen damit Leitgestalten; die Icons moderner Leitsysteme wollen zu etwas hinführen. Wort und Bild stehen in einem engen Zusammenhang. Das Griechische kennt für Schreiben und Malen nur ein Wort: „graphé“. Der Schreiber von Texten ist der „Logographos“ (Wortschreiber), der Schreiber von Bildern der „Eikonographos“ (Bildschreiber). Die Kirche bedient sich der Bilder, um ins Zentrum des Glaubens zu führen. Damit steht sie in der Tradition Jesu, der - um Tieferes zu erklären - in Bildern und Gleichnissen redete. (Mt 13, 34f)

Die Evangelisten - vom Hl. Lukas wissen wir es aus seinen eigenen Schriften - sind mündlichen Überlieferungen nachgegangen, haben Textvorlagen gesammelt, sich mit ihnen auseinandergesetzt und versucht ihnen eine angemessene literarische Form zu geben, die ihre Inhalte für das Leben der Menschen fruchtbar macht. (Lk 1,1-4) Die Evangelisten stellen das Wort Gottes als nicht als Dokumentation von Vergangenem, sondern als wirkmächtig für alle Menschen und alle Zeit heraus. Stellen. Aufgabe der Ikonenmaler ist durch Farben, Formen und Linien zu tun und vom Augenscheinlichen in die Tiefe zu führen, dem Betrachter das Handeln Gottes zu erschließen und Gott als „Gott für die Menschen“ zu verkünden, der eine Antwort auf sein Wirken erwartet. Der Maler hält sich dabei - wenn er Begebenheiten aus dem Evangelium malt - an strikt an den Text der Schrift. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass es frühchristliche Texte gibt, die lange der Hl. Schrift als zugehörig betrachtet wurden und deshalb auch die Ikonenmalerei beeinflusst haben, aber später als apokryph eingestufte wurden, sowie kulturell bedingte Abweichungen. Wie die Bibel den Leser, stellt die Ikone den Betrachter vor die Frage seines Weges mit Gott. Sie sind daher keine Erinnerungsfotos und auch keine Äußerung der Gedanken eines Künstlers zu einem Geschehen oder einer Person, sondern Vergegenwärtigung dessen, was durch Jesus zu unserem Heil geschehen ist und immer neu geschieht. Dabei soll die Botschaft nicht nur in eine verständliche, sondern auch in eine schöne Form gekleidet werden, denn je schöner die Botschaft vom Gottesreich vermittelt wird, umso mehr ist sie eine Vorahnung dessen, was dem Menschen verheißen ist. Auch bei den Ikonen der Heiligen handelt es sich nicht um ein Porträt, sondern um die Darstellung dessen, was der Mensch in den Augen Gottes ist: Bild Christi. Daher werden auch die Heiligen nicht in ihrer menschlichen, sondern in ihrer endgültigen Gestalt dargestellt - als Abbild Christi. Je mehr den Ikonenmalern dies gelingt, umso lebendiger und authentischer können sie die Aussagen der biblischen Texte wiedergeben. Je mehr sie sich in das Wort Gottes vertiefen, umso besser gelingt es ihnen, das Evangelium als Wort des Lebens immer wieder neu zu erschließen. Die Ikonen stellen den Betrachter vor existentielle Fragen des Lebens, verhelfen ihm aber auch darauf zu antworten.

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Christus und Abu Mina, Koptische Ikone, 19. Jh., Stift Altenburg

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Christus-Pantokrator, Ikone von Dimitris Papaioannou, Gallneukirchen, 2000

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Der Evangelist Lukas malt die Gottesmutter - Ikone von Sonja Skrepek, Wien, 2013

Buchtipp: Hanns Sauter: Bilder des Lebens. Ikonen als Antworten auf heutige Glaubensfragen. Wien (Dom-Verlag) 2012

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"Blickt auf zu ihm so wird euer Gesicht leuchten" (Ps 34,6)

Biblisches zu „Gesicht“

Der Mensch und sein Gesicht

Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Angesicht. Haare kommen oben dran, Ohren, dass er hören kann. Hals und Bauch, hat er auch, hier die Arme, dort die Beine, fix und fertig ist der Kleine.

Ich kenne niemanden, der sich nicht an diesen Spruch aus seiner Kinderzeit erinnert, der ihn nicht wieder Kindern weitergesagt und dazu mit ihnen ein Gesicht gezeichnet hat! Eifrige Kinder versuchen gleich, jemanden Bestimmten zu zeichnen und freuen sich überschwänglich, wenn es ihnen gelungen ist. Am sichersten erkennt man einen Menschen eben an seinem Gesicht und das Malen oder Zeichnen eines Porträts gehört zu den künstlerischen Herausforderungen. Porträts, die vor Jahrhunderten gemalt wurden, sind oft so lebendig, dass der Eindruck entsteht, der oder die Abgebildete schaue den Betrachter unmittelbar an. Manche sind sogar so gemalt, dass ihr Blick den Betrachter - ganz gleich in welchem Winkel er vor dem Bild steht - geradezu verfolgt. Einen Menschen ohne Gesicht können wir uns nicht vorstellen. Das Gesicht gehört zum Menschen und nicht von ungefähr wird über den Gesichtsausdruck auf den Charakter eines Menschen geschlossen: „Er hat ein Gesicht wie…, er macht ein Gesicht, als ob…“ Das Gesicht eines Menschen zeigt auch, wie es um ihn gerade steht. Die Bibel formuliert hier zurückhaltender als oft der Volksmund: „Das Herz eines Menschen verändert sein Gesicht und macht es heiter oder traurig.“ (Sir 13,25) „Gesicht“ hat etwas zu tun mit „Beziehung“. Jemandem ins Gesicht schauen bedeutet, mit ihm in Kontakt stehen zu wollen jemanden ins Gesicht zu schlagen ist grobe Demütigung.

Gott und sein Gesicht schauen

Die zwischenmenschlichen Erfahrungen mit „Gesicht“ wendet die Bibel auf die Beziehung zwischen Gott und Menschen an. Sicher liegt darin die Gefahr, sich von Gott, der unbegreiflich ist und der sich allen menschlichen Vorstellungen entzieht, ein Bild zu machen. Das Alte Testament steuert dem entgegen. Mose, der in einer so unmittelbaren Gottesbeziehung lebt, wie kein anderer vor ihm und kaum einer nach ihm, muss sich sagen lassen: „Du kannst mein Angesicht nicht sehen; denn kein Mensch kann mein Angesicht sehen und am Leben bleiben.“ (Ex 33,20) Doch hat sich herausgestellt, dass über die Beziehung zwischen Gott und den Menschen mit Hilfe von „Gesicht“ viel ausgesagt werden kann. Gott ist der Schöpfer, er hat den Menschen nach seinem Bild geschaffen. (Gen 1, 27) Das Gesicht eines Menschen ist daher eine Spur Gottes. Gott schaut auf den Menschen. Dies bedeutet ihm Heil und Leben. (Num 6,25f, Ps 31,17) Menschen, die sich um eine tiefe Gottesbeziehung bemühen „suchen Gottes Angesicht“ und stehen daher unter seinem Schutz und Segen und können aufleben. (1 Chron 16,11; Ps 24,6; Ps 31,21) Immer wieder richten sie an ihn die Bitte, er möge sein Angesicht nicht von ihnen abwenden: Weil ich aufrichtig bin, hältst du mich fest und stellst mich vor dein Antlitz für immer.“ (Ps 41,13) Wenn Gott sein „Angesicht verhüllt“ bedeutet das, dass er ihren Glauben auf die Probe stellt. Er wendet sich aber ihnen wieder zu und bewirkt dadurch einen tieferen, reflektierten Glauben. (Ijob 13,24; 42,1-3) Gottes Angesicht direkt zu schauen hat sich der Menschen wegen des Sündenfalles verwirkt. Dieses Privileg bleibt den „rechtschaffenen“ Menschen vorbehalten. (Ps 11,7) Wer damit gemeint ist, bleibt jedoch unklar. Auch kann nicht immer genau unterschieden werden, was „Angesicht Gottes“ bedeutet. Manchmal ist es Bezeichnung für seine Person (Ex 33,14-21; Ps 31,17; 80, 15-17) manchmal für seine sichtbare Gegenwart oder sein Erscheinen. (Ex 33,20.23; Jes 6,5) Da der Tempel von Jerusalem im Laufe der Zeit zum Ort der Gottesbegegnung geworden ist, ist „Angesicht Gottes schauen“ auch eine Umschreibung für die Wallfahrt dorthin. (Dtn 16,16) Abgesehen von den ersten Menschen im Paradies dürfen ausnahmsweise nur zwei Gott schauen, und auch das nur von rückwärts, nachdem er an ihnen vorübergezogen war: Mose, der „Freund Gottes“ und der Prophet Elija. (Ex 33, 11, 1 Kön 19,11) Der Kirchenlehrer Gregor von Nyssa kommentiert diese Begebenheiten folgendermaßen: „Jemandem nachfolgen heißt ihn von rückwärts schauen. Auf diese Weise lernte Mose, der vor Verlangen brannte, das Angesicht Gottes zu schauen, wie man Gott zu schauen vermag: Gott folgen, wohin immer er uns führt, das heißt Gott schauen.“

Wer mich sieht, hat den Vater gesehen

In der Kirche war die Frage nach dem Gesicht Gottes, d. h. nach seiner Darstellbarkeit, ab dem 6. Jh. vor allem in der östlichen Kirche ein heftig diskutiertes Thema. Im „Bilderstreit“ ging es - angestoßen durch die im Volk immer populärer werdende Verbildlichung des Heiligen - um die Darstellbarkeit Gottes im Bild. Die Gegner der Bilder argumentierten mit dem Bilderverbot: „Du sollst dir kein Gottesbildnis machen.“ (Ex 20, 4 und Dtn 5,8) Die Befürwortern der Bilder konterten, dass sich Gott selbst abgebildet habe, nämlich in Jesus als Mensch und verwiesen dazu auf Joh 14,8: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“ Die Position der Bilderfreunde konnte sich nach jahrhundertelangen, erbitterten Auseinandersetzungen behaupten. Das siebte ökumenische Konzil von 787 und eine Synode in Konstantinopel von 843 schlossen sich der Argumentation der Befürworter der Bilder an und beendeten den Bilderstreit. Knapp zusammengefasst lauten ihre Argumente: Gott ist als Einer und Dreifaltiger nicht darstellbar, doch hat er sich durch die Menschwerdung Jesu selbst abgebildet (Joh 1,18; Kol 1,15, Hebr 1,3). Darstellbar ist daher nicht Gott, sondern Jesus, dieser aber nur in seiner menschlichen Gestalt. (Joh 10,30; 14,9.24). Diese Sichtweise hat die Ikonenmalerei der Ostkirche geprägt. Der westlichen Kirche hat sich Frage der Bilder nie so gestellt wie der östlichen. Sie hat die Beschlüsse zur Bildertheologie zwar übernommen, ging aber trotzdem einen eigenen Weg. Dies zeigt sich auch daran, dass der Osten nur gemalte Darstellungen des Heiligen (Ikonen)
kennt, aber keine Skulpturen.

Das Gesicht Gottes

Jesu ist das Abbild des göttlichen Wesens, das in allem uns gleich geworden ist, ausgenommen der Sünde. (Hebr 1,3; 4,15) In seinem Gesicht spiegelt sich daher sowohl göttliche Hoheit, aber auch alles Menschliche - bis hin zu Verhöhnung und Leid. Er ist aber kraft seiner Göttlichkeit durch Leid und Tod hindurch gegangen zum Leben in Gott. Wer also das Gesicht Jesu - auch des leidenden oder gekreuzigten Jesus darstellt, muss dies so tun, dass seine Göttlichkeit gleichsam durchschimmert. Daher ist auf Ikonen auch der gekreuzigte Jesus nicht mit einem schmerzverzerrten oder blutüberströmten Antlitz dargestellt, sondern mit einem Gesicht, das die Würde dessen ausstrahlt, der den Kampf mit dem Tod für sich entschieden und gezeigt hat, das das Leben stärker ist als der Tod. In der Ikone des Pantokrators aber steht uns Jesus gegenüber. Das Gesicht des Pantokrators ist Ergebnis einer intensiven Meditation der Haltung Gottes zu den Menschen, die Jesus gelebt hat: Nähe und zugleich Ferne, Erhabenheit und zugleich Güte, Ernst und zugleich Liebe, Konsequenz und zugleich Barmherzigkeit. Sein Blick sagt: Gott geht auf mich zu, er möchte eine Beziehung zu mir haben. Hier ergibt sich eine Verbindung zwischen dem Pantokrator, dem oben angeführten Zitat des Gregor und der Ikone eines Heiligen. Gregor schreibt, Gott schauen heißt, ihm nachfolgen. Wer sich von Jesus anschauen und innerlich berühren lässt, möchte werden, wie er, „folgt ihm nach“ - durch die Höhen und Tiefen des Lebens, in die Herrlichkeit. Auf der Ikone „Jesus und der heilige Mena“, aus dem 6. Jh., strahlen uns zwei Gesichter voller Freude entgegen. Sie zeigen das Glück dessen, der Jesus nachgefolgt ist und nun an der „Freude seines Herrn“, Anteil hat, sowie die Freude des Herrn über den Menschen, der ihm durch sein Leben ein Gesicht gibt. (Mt 25,23; Tit 2,11-14)

(Hanns Sauter)

unbekannt
Christus und Abu Mena; Koptische Ikone, 6. Jh.